Rongorongo ist entzifferbar. Die Osterinselschrift
aber nicht.
(Teil 2)
Michael H. Dietrich
Kunst entsteht nicht ohne Vorarbeit. Je spontaner gefertigt ein Werk aussieht, oder so auf uns wirkt, desto länger war die Vorarbeit des Künstlers.
Die wenigen erhaltenen Rongorongo-Objekte sind Kunstwerke. Darüber ist man sich einig. Aber, was war zuerst – waren es die Notationen oder war es das Trägermaterial, für das die Zeichenmenge angepasst werden musste? Wir wissen es nicht. Im Falle von Treibhölzern ist natürlich die Reihenfolge vorgegeben. Ein europäisches Ruderblatt oder ähnliches Treibgut musste vorbereitet werden, bevor die Zeichen gekerbt werden konnten. Weil aber die meisten Objekte aus Lorbeerbaumwurzeln, den so genannten Brettwurzeln, gefertigt wurden, konnte man sicher nach der Vorlage der Zeichenmenge das Holzstück herstellen.
Für alle Rongorongo-Tafeln war eine Vorarbeit notwendig. Kein Mensch kann ohne einen Plan auf eine gebogene Holztafel 1.600 Zeichen in gleicher Größe auf zwei Seiten verteilt so anordnen, dass sie exakt beide Seiten der Tafel ausfüllen. Nicht einmal Michelangelo hätte das gekonnt. Mein Beispiel bezieht sich auf die Große Santiagotafel, deren Format mit 44,5 x 11,6 cm angegeben wird. Noch schwieriger war die regelmäßige Verteilung der Zeichen auf asymmetrischen Objekten, wie z.B. der Kleinen St. Petersburgtafel oder der Großen St. Petersburgtafel.
Im Internet sind Abbildungen der Rongorongo-Objekte zu finden, die hier nicht extra gezeigt werden müssen. Mich beschäftigt die Frage, wie es möglich war, alle Zeichen in gleicher Größe über Zeilen in ebenfalls stets gleicher Größe so zu verteilen, dass beide Seiten perfekt gestaltet sind? Wir wissen seit mindestens 400 Jahren, wie eine solche Aufteilung konzipiert wird, um das gewünschte Ergebnis auch wirklich hinzubekommen.
Der Meister musste eine 1 : 1 Vorlage haben. Anders geht es nicht! Er musste eine auf die Größe der Tafel abgestimmte Vorlage erarbeiten, um zu prüfen, ob er alle Zeichen unterbringen kann oder ob er z.B. die Zeilenhöhe verändern muss, bzw. die Anzahl der Zeichen. Nur 1 Millimeter größer oder kleiner, kann eine zusätzliche Zeile bedeuten bei 10 Zeilen auf einer Seite, oder eine Zeile weniger, wenn das notwendig wurde. Die Aufteilung der Zeichen auf den Tafeln zeigt die professionelle Arbeit, zeigt, dass hier Meister am Werk waren, die es gelernt hatten, diese spezielle grafische Arbeit zu beherrschen. Amateure waren das ganz und gar nicht.
Wir gehen heute davon aus, dass die Tafeln produziert wurden erst am Anfang des 19. Jahrhunderts. Das hat mit dem Alter und der Herkunft von Rongorongo nichts zu tun. Die „hardware“ entstand um diese Zeit herum. Und das führt zu folgender Überlegung:
Bereits in der Mitte des 16. Jahrhunderts begann die Geschichte des Bleistifts, wie wir ihn heute noch benutzen. Eine Mischung aus Graphitstaub, Ton und Wasser wird gebrannt. Die Härte gibt die Farbe vor vom Abrieb der Mine über hellgrau bis tiefschwarz. Über die Zugabe von Ton wird das gesteuert.
Missionare in Polynesien und überall in Ozeanien hatten Bleistifte und Papier, Missionare lernten in ihrer Ausbildung auf den Akademien auch die Herstellung von Büchern, lernten, wie früher Buchabschriften angefertigt wurden, wussten, wie aus gedruckten Seiten über die Buchbindung das fertige Buch entsteht, wie Urkunden und andere kirchliche Dokumente entstanden. Und sie lernten auch, wie man Seiten gestaltete und wie früher auf dem Pergament beschriftet, bemalt, vergoldet wurde. Missionare konnten erklären, was zu tun ist, um eine vorgegebene Menge an Zeichen auf die beiden Seiten einer Holztafel zu verteilen.
Buchstaben sind doch auch nur Zeichen.
Bevor ich erkläre, was alles nicht richtig gewesen wäre und zu keinem befriedigenden Ergebnis geführt hätte, erlaube ich mir zu „dozieren“, wie eine Rongorongo-Tafel entstanden sein könnte. Das ist ein Vorschlag, der die Vorarbeit beleuchtet.
Auf dieser von mir angenommenen Tafel sind jeweils 5 Zeilen über konkave Ausbuchtungen vorbereitet worden. Natürlich auf beiden Seiten. Die beiden Diagonalen geben mir exakt die Mitte auf der Tafel an. Dafür muss ich keine Linien ziehen, sondern nur über zwei kurze Striche diesen Mittelpunkt fixieren. Genau an dieser Stelle wird das erste Zeichen gekerbt. Die Zeile wird halbiert nach rechts und links und der nächste Schritt ist vorgegeben:
Auf dem Entwurf zu dieser Tafel stehen die beiden Zeichen ganz rechts und ganz links auf der Zeile. Dieses sind die nächsten, die gekerbt werden müssen. Damit habe ich für alle zwischen Mitte und Rand liegenden Zeichen eine vorgegebene Fläche, und ich bin gezwungen, damit auszukommen. Es gibt aber noch genügend Spielraum, um die dazwischenliegenden Zeichen harmonisch einzuarbeiten. Die Abstände zwischen den Zeichen sollten stets gleich sein, keines soll gequetscht werden oder unharmonisch in die Breite gezogen aussehen. Es ist aber ausreichend Platz vorhanden, um zu schummeln, kleine Ungenauigkeiten zu vertuschen. Profis können das so gut, dass allenfalls ein anderer Profi das bemerkt.
Mein erster Arbeitsschritt bestand darin, die lange Zeile zu halbieren. Nun halbiere ich ganz genau so die beiden Teilstücke, die Anzahl der Zeichen nimmt ab, und ich kann die verbleibenden exakt einpassen. So geht es dann weiter:
Ein wichtiger Bestandteil der grafischen Konzeption für Rongorongo-Zeichen ist die so genannte Mittelachse. Dabei sind die beiden Hälften rechts und links gleichgewichtet. Deshalb gehe ich ja davon aus, dass diese Grundlage der Mittelachse auch bei der Gestaltung der Tafelseiten zugrunde lag. Immer von der Mitte aus die Fläche halbieren und wieder halbieren und wieder, bis das letzte Zeichen gesetzt wurde. Und das steht am rechten oder am linken Rand.
Diese erste von zehn Zeilen ist perfekt. Alle im Entwurf vorgesehenen Zeichen konnten untergebracht werden ohne sichtbare Schummelei. Es sind in Handarbeit gekerbte Kleinkunstwerke, die nicht die Präzision einer technischen Zeichnung haben.
Man sieht trotzdem, wie professionell vorgegangen wurde. Das war kein Zufall oder etwa ein Wunder, das ist professionelle Arbeit, wie man sie noch heute macht, wenn Urkunden zu schreiben sind auf Pergament.
|
|
Ob die Meister jedes Zeichen auf den Tafeln vorgezeichnet haben, möchte ich bezweifeln. Wenn die Zeichen in der Mitte und an den Enden vorgezeichnet wurden, genügt das eigentlich jedem Profi. |
Mit der fertigen Zeile habe ich einen gewaltigen Arbeitssieg errungen. Das ist der sichtbare Beweis, dass meine ganze Vorarbeit richtig war. Wie geplant, wie errechnet und vorherbestimmt konnten alle Zeichen auf der Zeile untergebracht werden, ohne Kompromisse einzugehen sie zu strecken oder zu stauchen. Entwurf und Ausführung stimmen überein.
Die Vorzeichnung einer Bleistiftskizze auf Papier ist nicht identisch mit dem, was das Werkzeug auf einer hölzernen Tafel ermöglicht. Sie kann nicht 1:1 übersetzt werden, aber sie ist der alles entscheidende Anhaltspunkt, weil auf der Holztafel keine Experimente möglich sind. Deshalb wird ein Profi nun die so wichtigen Zeichen rechts und links auf allen Zeilen dieser Tafelseite setzen, denn damit hat er sich selbst verpflichtet, den Entwurf exakt einzuhalten. Den Entwurf kann er ändern so oft und so viel er es will oder für nötig erachtet. Den Entwurf kann er mit Kollegen diskutieren, kann Anmerkungen und Verbesserungen einbringen – im Entwurf ist alles möglich.
Aber jeder Entwurf unterliegt gnadenlos dem „rienne va plus“ – irgendwann ist ganz einfach „Schluß mit lustig“ – machen - oder lassen.
Warum das alles? Warum nicht einfach drauflos kerben, mal sehen, was man unter-bringt und was man weglassen muss?
Wenn nur ein Zeichen pro Zeile auf der Holztafel nicht mehr in die vorgesehene Zeile passt, ergibt das 10 Zeichen auf dieser Tafel, die nicht gekerbt werden konnten gegenüber dem Entwurf.
Was hätte der Meister machen sollen, wenn er einfach drauflos kerbte und dann am Ende der Zeile feststellte, das die dort vorgesehene Zeichenverbindung von vielleicht drei Zeichen nicht mehr unterzubringen ist, weil nur noch Platz wäre für höchstens ein einziges Zeichen? Können Sie sich vorstellen, in welche Panik man gerät, wenn man sich nicht ganz genau an die Vorlage hält und bereits auf der ersten Seite einer Tafel und dann auch noch in der ersten Zeile feststellt, dass Entwurf und Ausführung nicht übereinstimmen? Wenn man bereits am Anfang merkt, sein Ziel nicht erreichen zu können? Das ist der Supergau einer jeden grafischen Gestaltung !
Wenn wir mit einem Bleistift schreiben, lässt sich jeder Fehler wegradieren. Ein Maler kann 10 Stunden malen, das Gemalte 10 Minuten betrachten und dann in 10 Sekunden mit dem Malmesser die Tagesarbeit von der Leinwand kratzen, weil er an dem Tag hundsmiserabel schlecht malte, es aber erst am Abend merkte. (Ich weiß, wovon ich spreche!)
Eine einmal gesetzte Kerbe ist für alle Zeiten im Holz, sie kann eigentlich nicht korrigiert werden. Der mit der Feder gesetzte Buchstabe auf Pergament kann wenigstens nach Trocknung vorsichtig abgeschabt werden. Hat der Bildhauer weggeschlagen, was eigentlich noch zur Figur gehörte, muss er neu denken, neu skizzieren, neu die Sache angehen – oder besser, von vorne anfangen.
(Non finito – nannten Maler und Bildhauer so schön melodisch den Mist, den sie gelegentlich produzierten, es aber selbstverständlich nicht zugaben.)
Ohne Vorarbeit, ohne Plan, ohne genau festgelegte Vorgaben und ohne vorher zu erkennen, was nachher kaum zu korrigieren wäre, ist keine Rongorongo-Tafel entstanden. Wer auch immer den Santiagostab bearbeitete war ein Stümper! Die eingeschobene Zeile zeigt, dass er sich sicher war, auf Planung und Vorarbeit verzichten zu können. Das ging daneben und ihm blieb nichts anderes übrig als handwerklichen Pfusch abzuliefern. Seine Zeichen sind dagegen gut gearbeitet.
Kein Meisterwerk in der Kunst ist entstanden ohne Planung und Vorarbeit, aber es gibt auch kaum ein Meisterwerk, das nicht nachweisbar Spuren der Korrektur enthält. Nach dem II. Weltkrieg wurden systematisch die Meisterwerke aus den Museen zum „röntgen“ geschickt. Da staunten die Kunsthistoriker nicht schlecht, als sie bei den bedeutendsten Malern auf den Röntgenbildern ihrer Meisterwerke wahre Änderungs-schlachten erkannten.
(Maler wussten das schon immer – lange vor den Röntgenbildern.)
Rongorongo ist keine freie Kunst. Es ist eine Auftragsarbeit mit klar definierten Vorgaben. Es ist ein Notenblatt und hier kann man wohl kaum einen freien Ermessensspielraum einräumen, die Noten nach Lust und Laune zu notieren.
Rongorongo ist das, was wir heute mit „manual“ bezeichnen, also mit „Handbuch, Leitfaden, Dienstvorschrift etc.“ Rongorongo ist nach meinen Erkenntnissen eine schriftlich fixierte Gebrauchsanweisung für Navigation nach Sternen, möglicherweise auch kalendarisches Wissen. Rongorongo notiert das, was wir unter Archäo-Astronomie verstehen. Rongorongo könnte entstanden sein, als die Eingeweihten, die Wissensträger, die herrschenden Ariki, die Intellektuellen auf Hawai’i oder Neuseeland oder im Gebiet der Gesellschaftsinseln erkannten, dass die Stränge der „Oral History“ wie seit Jahrtausenden praktiziert, zerrissen waren und damit das ganze alte Wissen unweigerlich verlorenging. Rongorongo konserviert das tradierte und nur an auserwählte junge Männer weitergegebene Wissen um Navigation im Pazifik. Niemals wurde eine solche Tafel gebraucht für die regelmäßigen Fahrten zwischen den Inseln. Rongorongo war das Wissen aus den Köpfen der Navigatoren. Es gab nur zwei Möglichkeiten, sich damit abzufinden, diese speziellen Kenntnisse entweder für immer zu verlieren oder über „den Schatten zu springen“ und das zu tun, was Jahrtausende überall in Ozeanien ein schweres Verbrechen war - schriftliche Notationen anzulegen, die jeder Unbefugte, die jeder Feind, die jeder Unwürdige ganz leicht lesen und verstehen konnte, wenn er nur 24 kleine Zeichen erlernte.
„Es gibt keine Höhle, die nicht auch mein Feind entdecken kann, es gibt keinen Ort, der so geheim ist, dass ihn mein Feind nicht finden kann. Geheimes Wissen ist nur sicher in den Köpfen derer, die bei Geheimnisverrat tot umfallen, weil es das über sie verhängte Tabu bewirkt hätte.“ Das waren die Worte der Eingeweihten, als man ihnen Schrift erklärte. Es gab doch einige Experimente mit Häuptlingen, zu demonstrieren, wie das gesprochene Wort ganz leicht notiert werden kann, und zwar so, dass jeder, der die Zeichen gelernt hat, daraus wieder Worte formulieren kann. Beeindruckt waren die Häuptlinge durchaus, aber sie waren sich absolut sicher, niemals ein solches System zuzulassen, aus den hier schon angeführten Gründen.
In einer Gesellschaft, deren Nervus rerum nun einmal die mündliche Überlieferung ist, wäre die Entwicklung einer Schrift eine Kultur-Revolution. Darüber ist nichts bekannt.
Ich halte es für möglich, dass es Missionare waren, die hier mit Rat und Tat zur Seite standen, um das System Rongorongo „anzuschieben“. Das Wissen für die Rongorongo-Notationen war vorhanden - und das schon seit Jahrtausenden. Es musste lediglich in Zeichen umgesetzt werden – aber in solche, die sich mit der tradierten Kultur in Übereinstimmung bringen ließen. Eigene Zeichen – keine fremden Symbole! Die erforderlichen briefings für die Gestaltung von Zeichen hatten sie in Hülle und Fülle, wie ich nachweisen werde. Und das gelang den Künstlern auf Inseln in der Südsee meisterhaft!
Rongorongo ist als System aus einer sehr disziplinierten Denkweise entstanden. Die Gestaltung der Tafeln und die bewundernswerte Einhaltung der einmal beschlossenen Gesamtkonzeption, wirken auf mich so professionell, dass ich eine beratende Funktion von Missionaren bei der gestalterischen Konzeption für denkbar halte. Das hat wiederum nichts mit dem Alter und der Herkunft von Rongorongo zu tun. Die Verteilung von fast 900 Zeichen auf einer Tafel im Format von ca. 39 x 13 cm auf beide Seiten und zwar so genau angepasst, dass es keine freien Stellen gibt, ist nur Profis möglich, die gelernt haben, wie das geht.
Ich bekenne mich dazu, Rongorongo nicht als eine gänzlich eigenständige Entwicklung polynesischer Tohunga anzusehen. Hier ist viel „europäisches Wissen um grundlegende Gestaltungsregeln“ offensichtlich zu erkennen - und das ist nur vernünftig erklärbar über das vorhandene Wissen europäischer Missionare, die auf den Inseln im Pazifik wirkten. Ich bestreite vehement, dass es für Rongorongo Vorläufer gab, ich bestreite die Behauptung von Heine-Geldern, dass Rongorongo seinen Ursprung in China hatte, ganz entschieden. Die Theorie, dass Rongorongo auf der Osterinsel entwickelt wurde, als Spanier 1770 die Insel für die spanische Krone okkupierten, ist nur eine von vielen Absurditäten, die Rongorongo seit 150 Jahren begleiten.
Aus den Abschriften von Barthel (1958) habe ich eine Seite der Tafel Keiti rekonstruiert und natürlich die Anordnung der Zeilen nach dem Original vorgenommen. Die Keiti zeigt 9 Zeilen auf einer Seite und 8 auf der anderen. Wahrscheinlich hatte der Meister mit dieser 9-Zeilen Seite begonnen und auf der anderen dann kaum merkbar die Zeilen- und Zeichengröße angepasst. Das ist professionelle Gestaltungsarbeit, die man erlernen kann. Dass auch nur eine einzige Tafel ein zufälliges Ergebnis von ambitionierten Handwerkern sein könnte, die ohne einschlägige Kenntnis einfach drauflos arbeiteten, halte ich für ausgeschlossen.
Ebenfalls eine Abschrift der Tafel Keiti und auch die gleiche Seite fand ich im Internet. Diese Abschrift sagt mehr über Rongorongo-Forschung, als man sich vorstellt. Sie ist mundgerecht europäisiert ganz so, wie wir einen Text beginnen zu lesen, von oben links nach rechts, dann in die nächste Zeile.
Die Keiti war eine der ersten Tafeln, die von Missionaren auf der Osterinsel erworben und an Bischof Jaussen in Tahiti geschickt wurde. Nachdem die Tafel mehrfach den Besitzer wechselte, kam sie 1894 nach Louvain/Belgien, wo man sie in der Universitätsbibliothek verwahrte. Deutsche Panzer beschossen 1914 die belgische Stadt und zerstörten dabei die Universität und die Bibliothek. Zum Glück hatten vorausschauende Kustoden Abgüsse von der Tafel angefertigt, mit denen wir noch heute arbeiten.
Von Anfang an gab es ein bis heute unerklärtes Phänomen im Zusammenhang mit den Notationen. Alle Zeichen sind auf den Tafeln in gleicher Größe. Diese Größe schwankt zwischen 0,8 und ca. 2 cm. Die Zeilen sind ebenfalls in gleicher Größe. Auf keinem Objekt ist ein Anfang zu erkennen, keine Tafelseite lässt sich beweisbar mit Vorder- und Rückseite bestimmen. Nicht ein einziges der ca. 15.000 Zeichen ist hervorgehoben. Es gibt keine einzige Einkerbung, die sich interpretieren lässt als ein absichtlich herbeigeführtes Merkmal.
Unverstanden und unerklärt bis heute ist die Feststellung, dass es auf den ersten Blick keinen noch so kleinen Hinweis gibt für eine wie auch immer geartete Segmentierung der Zeichen.
Der „Trenner“ fehlt! Zeichen reiht sich an Zeichen – ohne Pause – ohne einen Stopp – ohne den kleinsten Hinweis auf ein „Pausensignal“ – alles ist einheitlich durchgehend.
Das ist kein Zufall, das ist die Konzeption, die bisher nicht verstanden wurde.
Meine Beurteilung des Systems Rongorongo lautet wie folgt:
durchdacht
geplant
zielgerichtet
erkennbare Absicht
nicht verschlüsselt
präzise
detailgenau
Auf dieser Annahme meiner eigenen Bewertung komme ich bezüglich der Tafelge-staltung zu folgender Hypothese:
- Weil es keinen erkennbaren Anfang zum Verständnis der Notationen
gibt, gibt es viele Anfänge, die bisher nicht gefunden wurden.
- Weil es keinen Trenner gibt, der sich als solcher erkennen lässt, ist jedes Zeichen als Trenner denkbar.
Meine Bewertung des Systems nach fast 40 Jahren Forschung steht in krassem Gegensatz zur derzeitigen Philosophie über die vermeintliche Osterinselschrift.
Der amerikanische Rongorongo-Forscher, Steven Roger Fischer, dessen Forschungen man mehrfach im Internet über zahlreiche Beiträge findet, bewertet auf Seite 555 in seinem 1997 publizierten Buch „Rongorongo – The Easter Island Script“ ebenfalls das System Rongorongo und zieht auch die Forscherin Kathrin Routledge heran, die bereits 1914 zu einer eigenen Einschätzung von der vermeintlichen Osterinselschrift kam.
Ich habe nur einige der von Fischer aufgestellten Bewertungen über das entsprechende Schlagwort herausgeschrieben und übersetze es.
Nach Fischer ist das System Rongorongo:
arbitrary – willkürlich, beliebig, eigenmächtig, unbegründet, nach freiem Ermessen etc.
sloppy – schlampig, nachlässig, schludrig, hudelig etc.
contradictory – widersprüchlich, gegensätzlich, schizophren (ugs. für widersinnig)
Lady Routledge meinte, und Fischer stimmt zu, dass Rongorongo nichts anderes ist als
„a rude system of writing“
rude – insgesamt 18 Begriffsbestimmungen sind für das Wort möglich. Ich habe nur drei davon ausgewählt, die 15 restlichen sind in dem gleichen Sinn zu verstehen:
rüpelhaft, unmanierlich, unkultiviert.
Auf insgesamt drei Objekten findet sich diese Zeichenverbindung, die ich hier in Originalgröße abgebildet habe.
Die Abschrift der Tafel ist von Barthel (1958), die Zeichenverbindung ist aber aus der neueren Abschrift von Fischer (1957). Wenn Sie den Unterschied zwischen diesen beiden Abschriften finden, haben Sie eine beachtliche Beobachtungsgabe, über die nicht sehr viele Menschen verfügen. Aber ein solches Talent muss schon vorhanden sein für Rongorongo-Forschung. Damit Sie es leichter haben, auf der Abschrift einer dieser Tafeln diese Zeichenverbindung auch zu finden, habe ich sie stark vergrößert abgebildet.
In der nächsten Folge zeige ich auf, wie man Rongorongo-Notationen segmentiert und Anfänge von Zeichenfolgen bestimmen kann.
Die zu findende Zeichenfolge erkennt man auf der Zeile Pv 5. In der Abschrift bei Barthel fehlt das kleine Horn am dritten Zeichen von links.
Der Großbuchstabe P steht für die Große St. Petersburgtafel. Der Kleinbuchstabe v bedeutet verso und meint die Rückseite dieser Tafel. Das ist eine Annahme ohne Beweis. Mit der Zahl 5 ist die fünfte Zeile von unten gezählt gemeint. Barthel schreibt die Sache ganz einfach um und zählt die Zeilen auf den Objekten wie wir die Zeilen in einem Buch, also von oben nach unten, entgegen dem Original.
Unter diesem link finden Sie das Buch zu meinen Forschungen:
http://www.grin.com/de/e-book/317681/auf-goetterpfaden-ueber-den-pazifik-die-geschichte-der-vermeintlichen/?partner_id=1202373